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Kampfkunst in der heutigen Zeit – Wozu eigentlich?

  • Samuel Tanner
  • 26. Juli
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 3. Sept.

Warum lohnt es sich heute noch, eine Kampfkunst wie Yiquan oder Taijiquan zu üben – obwohl wir in einem sicheren Land leben? In diesem Beitrag zeige ich mit einem Augenzwinkern, aber auch mit Tiefgang, warum traditionelle Kampfkünste heute aktueller sind denn je.


Ehrlich gesagt…


…bereitet uns der Besuch eines Kampfkunsttrainings wohl kaum auf einen „echten Kampf“ im Ernstfall vor – jedenfalls nicht, wenn wir es nicht hauptberuflich betreiben. Oft höre ich von Bekannten: „Ich möchte nur 1-2 Griffe lernen, dies reicht mir“. Doch so einfach ist es nicht. Um in einem Kampf zu bestehen bräuchte es ein enorm breites Spektrum an Fähigkeiten: Reaktionsfähigkeit, Präzision, Geschwindigkeit, Kraft, Intuition, Technik, Präsenz, strategisches Denken, usw. – und tausende Stunden an Training. Das ist die Realität.


Zum Glück leben wir in der Schweiz. Hier ist es sicher. Hier muss man in aller Regel weder kämpfen noch flüchten. Und wenn doch, dann – so sagt man – sei weglaufen besser. Vielleicht wäre es tatsächlich klüger, sich gute Laufschuhe zu kaufen und regelmässig joggen zu gehen?


Und trotzdem: Warum Kampfkunst?


Die Frage ist berechtigt. Warum also überhaupt Kampfkunst üben – oder wenigstens den Prinzipien der Kampfkunst folgen?


Die Antwort liegt gerade in diesen Prinzipien. Wer sich ernsthaft mit einer Kampfkunst wie Yiquan oder Taijiquan befasst, übt weit mehr als körperliche Techniken. Man übt z.B. entspannt zu sein, innere Stabilität, Beweglichkeit, Kontrolle statt Überreaktion. Man trainiert, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Man lernt, präsent zu bleiben, wenn es darauf ankommt – im Leben, nicht nur in einem Ernstfall.


Oder, wie es mein Meister Jumin Chen einmal nüchtern ausdrückte:

„In der Kampfkunst zählen drei Dinge: 1. Mut, 2. Kraft, und erst 3. die Technik.“

Kampfkunst vs. Kampfsport


Viele werfen Kampfkunst und Kampfsport in einen Topf. Dabei gibt es einen wichtigen Unterschied:

Im Kampfsport liegt der Fokus auf dem Wettkampf. Es geht darum, besser zu sein als der Gegner – im Ring, mit Regeln, mit klaren Siegbedingungen. Sparring steht im Zentrum.

In der Kampfkunst hingegen steht die kontinuierliche Entwicklung der eigenen Persönlichkeit im Vordergrund. Ein oft zitierter Leitsatz lautet: „Kämpfe – ohne zu kämpfen.“


Natürlich: Wer nie mit einem Partner übt, entfernt sich bald so weit von der Realität, dass seine Kunst im Ernstfall völlig nutzlos wird. Doch gleichzeitig ist das Ziel nicht der Kampf, sondern die Meisterschaft über sich selbst.


Yiquan und Taijiquan – verwandt, aber verschieden


Beide Systeme, die wir bei Yiquan Luzern pflegen, haben ihren Ursprung in der chinesischen Kampfkunsttradition – auch wenn sie auf ganz unterschiedliche Weise arbeiten:

  • Yiquan setzt auf kleinräumige, schnelle Bewegungen mit klarer Struktur. Der Körper bleibt dabei stabil und entspannt zugleich. Man übt „Kraft ohne Kraft“, wie der Begründer Wang Xiangzhai es formulierte. Ziel ist es, die innere Kraft (Hunyuan) präzise und flexibel in alle Richtungen einzusetzen. Aus Gründen der Effizienz wurde die Zahl der Bewegungen bewusst klein gehalten und es gibt keine feste Abfolge, also keine Form. Eine bemerkenswerte Eigenschaft von Yiquan ist die Kontrolle des Gegners, aber dies bedarf viel Erfahrung. Oder um Wang Xianguzhai zu zitieren:


„Schlagen ist einfacher als Werfen, Werfen ist einfacher als Kontrollieren.“

Die Fähigkeit zu kontrollieren – sich selbst wie auch eine Situation – ist zentral. Sie entsteht nicht über Nacht, sondern durch wiederholtes, unspektakuläres Üben einfacher Bewegungen. Immer wieder.


  • Taijiquan hingegen arbeitet mit der Rotation um die Körperachse und dem Umwandeln von Kräften. Die Bewegungen sind fliessend, weich und rund. Struktur ist vorhanden, aber minimal – das „Aufgerichtetsein“ ist am wichtigsten. Es gibt eine Vielzahl an Bewegungen die als Form, d.h. in einer festen Abfolge geübt werden. Jemand hat mal treffend gesagt (unbekannt): „Taijiquan ist gleichzeitig die beste und die schlechteste Kampfkunst der Welt.“ Die beste, weil sie ohne grosse Körperkraft auskommt – die schlechteste, weil ohne tiefes Verständnis und grosse Erfahrung vieles einfach nicht funktioniert.


Kampfkunst ist eine Lebenskunst


Der eigentliche Schatz liegt nicht im Kampf. Er liegt im Übungsweg. Wer sich regelmässig einer Kunst wie Yiquan oder Taijiquan widmet – am besten auch mit Partnerübungen – bleibt geistig und körperlich flexibel. Man bewegt sich bewusst ausserhalb der Komfortzone, was das Gehirn jung hält. Man bleibt länger fit, ausgeglichen, stabil.


Und was bringt das im Alltag?


Eine ganze Menge!

Man steht anders da, wenn’s mal stressig wird. Man lernt, Spannung wahrzunehmen – und sie loszulassen. Man übt, präsent zu bleiben, anstatt sich in Sorgen zu verlieren. Man entwickelt Selbstvertrauen – nicht durch Muskeln, sondern durch Erfahrung. Kurz: Kampfkunst ist kein Selbstverteidigungskurs. Sie ist eine Schulung fürs Leben.


Und – Hand aufs Herz – das Leben ist manchmal tatsächlich ein bisschen wie ein Kampf. Oder, wie man so schön sagt: „Das Leben ist kein Ponyhof.“


Fazit: Lieber Baum als Boxer


Natürlich – wer sich nur körperlich fit halten will, findet auch andere Wege. Aber wer geistige Klarheit, Präsenz, innere Kraft und eine Praxis für den Alltag sucht, ist bei der Kampfkunst gut aufgehoben.


Yiquan und Taijiquan sind keine nostalgischen Selbstverteidigungs-Techniken, sondern moderne Methoden zur Selbstkultivierung. Sie machen uns wach, ruhig, stark – und widerstandsfähiger gegenüber den Herausforderungen des Lebens.


Kampfkunst lehrt auch Demut


Ein weiterer, vielleicht stillerer Vorteil: Wer sich ernsthaft mit Kampfkunst beschäftigt, lernt Demut. Man wird sich der eigenen Grenzen bewusst – körperlich wie geistig. Man erkennt, wie viel es zu lernen gibt, und dass Fortschritt nicht durch schnelle Tricks, sondern durch langfristiges Üben entsteht.


Gerade in einer Zeit, in der viele sofort Resultate erwarten, erinnert uns die Kampfkunst daran, dass echte Entwicklung Zeit braucht. Man begegnet Menschen, die stärker, erfahrener, entspannter sind – und statt sich zu vergleichen, beginnt man, von ihnen zu lernen.


Wie sagte Wang Xiangzhai so schön?


„Ich habe mich in über 40 Jahren mit vielen Kampfkünsten beschäftigt und nach den wahren Prinzipien gesucht, […] um das Wahre vom Falschen unterscheiden zu lernen.“

Diese Suche erfordert Geduld, Offenheit und die Bereitschaft, sich immer wieder als Anfänger zu sehen – selbst nach vielen Jahren.


Demut bedeutet nicht Kleinmachen. Es bedeutet, Raum zu schaffen für echtes Lernen.


Lust bekommen, die Prinzipien der Kampfkunst selbst zu erleben?

Dann komm vorbei zu einem Probetraining bei Yiquan Luzern. Ganz gleich, ob du sanft trainieren willst oder tief in die Prinzipien eintauchen möchtest – du bist herzlich willkommen.

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